Was bewegt uns dazu, freiwillig Daten preiszugeben?

Kim Y. Mühl
7 min readJan 13, 2021

--

Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts!

Spätestens seit Google, Facebook und Co. wissen wir, wie wertvoll Daten sein können. Big Data ist hier das Stichwort, obwohl Smart Data es eigentlich passender trifft, denn bei Big Data handelt es sich zunächst nur um einen riesigen Haufen Datenschrott.

Täglich geben wir — mich selbst miteinbezogen — Daten von uns preis und füttern die Datenströme der Tech-Giganten mit unseren Informationen. Wer ‘googelt’ nicht, um Informationen zu suchen und Dinge zu erfahren? Millionen Menschen suchen täglich bei Amazon nach Produkten und hinterlassen dabei ihre Spuren im Netz. Dadurch kann Amazon den Usern immer bessere Empfehlungen anbieten und vielleicht schon heute wissen, was wir morgen gerne hätten. Und die sozialen Netzwerke? Facebook zeichnet alle Interaktionen der Besucher untereinander auf und weiß, wen wir mögen und wie sehr. Es wird sogar gemunkelt, dass Facebook durch seinen Algorithmus in der Lage sein soll, das Ende von Beziehungen vorauszusagen.

Viele Menschen zeigen sich besorgt über diese Entwicklungen. Denn seitdem bekannt ist, dass Datenschutz bei vielen Unternehmen ob DSGVO nicht selbstverständlich ist, herrscht ein gewisses Unbehagen bei vielen Menschen. Trotz der Entwicklungen fällt es den meisten Menschen schwer auf den Komfort dieser Dienste zu verzichten.

Die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen von Internet Giganten wie GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) boomt nach wie vor und wird sogar noch ausgeweitet. Mit Amazon Alexa oder Google Echo müssen wir mittlerweile nicht einmal mehr zum Smartphone oder Laptop greifen um etwas zu suchen oder zu bestellen. Wir können über unsere Stimme direkt mit den virtuellen Assistenten der Internet-Giganten kommunizieren. Die Frage ist: Warum tun wir das, obwohl wir uns doch über die Nachteile im Klaren sind?

Warum geben wir freiwillig soviel von uns preis?

Unwissenheit, kurzfristiges Denken, veränderte Wertesysteme und ein fundamentales Bedürfnis nach Unsterblichkeit verleiten uns dazu, persönliche Daten preiszugeben.

Unwissenheit: Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, was mit ihren Daten im Internet geschieht und welche Rechte sie den Plattformen einräumen, wenn sie diese nutzen. Denn wer liest schon die Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Datenschutzbestimmungen von Internet Giganten wie Facebook, Amazon oder Google? Kaum einem ist der volle Umfang der Rechte bekannt, welche er der Plattform einräumt. Und selbst, wenn man eine Ahnung hat, neigen viele User dazu, dies zu ignorieren, denn sie wollen die Plattform schließlich nutzen.

Kurzfristiges Denken: Der Nutzen von Internet Giganten wie Amazon, Google oder Facebook ist enorm. Wir bekommen auf Knopfdruck wichtige Informationen, können in Sekunden ein spannendes eBook herunterladen oder in Echtzeit mit Freunden in aller Welt kommunizieren. Weil uns diese kurzfristigen Vorteile so wichtig sind, blenden wir aus, welche (negativen) Konsequenzen dieses Verhalten langfristig haben könnte. Ähnliche Effekte lassen sich etwa auch bei der Ernährung beobachten. Natürlich wissen wir, dass Süßigkeiten und fettes Essen ungesund sind, aber für den kurzfristigen Genuss blenden wir die langfristigen Folgen aus. Das böse Erwachen kommt erst beim Blick auf die Waage oder wenn uns die Lieblingshose nicht mehr passt.

Wertewandel: Der Umgang mit Privatsphäre hat sich gewandelt. Für die Generation Z (etwa zwischen 1995 und 2015 geboren) ist es völlig normal Daten über sich preiszugeben. Diese Generation ist damit groß geworden und hat dies als Normalität verinnerlicht. Allerdings weiß diese Generation häufig auch intuitiv, wie man verschiedene Profile im Internet verwaltet und zwischen seinen verschiedenen Identitäten hin- und herwechselt.

Jeder dieser drei Gründe für sich ist vermutlich plausibel genug um zu erklären warum der Umgang mit Datenschutz oft so locker erfolgt. Doch es gibt noch einen weiteren, womöglich noch größeren und gleichzeitig gerne belächelten, Aspekt: Der Wunsch nach Unsterblichkeit. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis sich auszudrücken und gesehen werden zu wollen — und das am besten für immer. Mit jeder digitalen Aktion hinterlassen wir Spuren im Netz. Diese Spuren sind unvergänglich. Indem wir Apps nutzen um unser Verhalten zu tracken, zu optimieren und aufzuzeichnen, haben wir den Beweis dafür, dass wir existieren: Unsere Existenz ist sichtbar und digital vermerkt — auch, oder gerade weil, es sich um einen Datensatz handelt.

FOBO, oder die Fear of being offline. Brauchen wir eine hybride Welt?

Bei vielen Menschen löst es heutzutage ein regelrecht beklemmendes Gefühl aus, offline zu sein und keinen Zugang zum World Wide Web haben. Dieses Phänomen nennt man auch fear of being offline — FOBO. Das Smartphone ist zum unverzichtbaren Begleiter geworden. Eine Abstinenz von der digitalen Gesellschaft ist für viele Menschen unvorstellbar. Digitalität ist zur neuen Realität geworden. Nur die Existenz in der analogen Welt ist der digitalen Gesellschaft zu wenig. Heute bedeutet existieren auch, eine Identität im Internet zu haben, was mich zum nächsten Thema bringt: Digiphrenie.

Digiphrenie — Das Online-Dilemma?

Digiphrenie beschreibt den Zwiespalt zwischen analog und digital.

Der Medientheoretiker Douglas Rushkoff hat den Begriff „Digiphrenie”“ geprägt. Dabei steht „digi“ für „digital“ und „phrenie“ für „den gestörten Zustand geistiger Aktivität“. Das bedeutet den Zwiespalt zwischen dem realen und dem digitalen Leben. Denn beide Welten sind real. Wir projizieren unser Ich und unser Leben ins Internet. Dadurch kommunizieren wir deutlich mehr als früher und sind mit der ganzen Welt vernetzt. Zugleich fühlt sich ein großer Teil der Menschen allerdings auch wesentlich einsamer. Denn trotz der vielen Beziehungen und Verknüpfungen im Netz, trotz der Likes, der Kommentare und der Postings sind viele Menschen am Ende des Tages alleine, da ihnen echte Bindungen und Begegnungen im menschlichen Leben fehlen.

Andererseits ist Privatsphäre oft nicht mehr gegeben oder erwünscht. Oft wird die Realität direkt und ungefiltert ins Internet übertragen — und dort gibt es keine Privatsphäre. Snapchat, Instagram, TikTok, Twitch, und andere Netzwerke machen sich dies zu nutze — belohnen und konditionieren dieses Verhalten sogar, und zwängen uns damit in einen Zwiespalt. Wir sind kaum mehr ganz privat, nehmen aber auch nicht wirklich an der Gesellschaft teil. Das ist ein Wandeln zwischen den Welten. Diese Polarität ist anstrengend und kann auf Dauer nicht gesund sein. Halten Sie sich nur einmal vor Augen, dass viele Menschen — vom Promi bis zur Privatperson — ihre eigene Privatsphäre missachten, weil der Wunsch nach Anerkennung in der digitalen Welt überwiegt. Zudem nehmen sie die Missachtung des Datenschutzes bis hin zur digitalen Bloßstellung in Kauf um ihre digitale Identität nicht zu schwächen, bzw. in Frage gestellt zu sehen.

Um ein digitales Erbe zu hinterlassen geben wir die Kontrolle über weite Teile unseres Lebens auf.

Diese Entwicklung wird durch das Internet der Dinge und die Verbindung von Mensch und Maschine in den kommenden Jahren exponentiell zunehmen. Schätzungen zufolge sollen bis zum Jahr 2020 20 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Das sind mehr als doppelt so viele, wie Menschen auf der Erde leben. Das bedeutet auch, dass es in Zukunft mehr Kommunikation zwischen Geräten und Maschinen geben wird, als zwischen Menschen.

Als Folge könnte auch das „Internet of Things“ (IoT) zum „Internet of People“ werden. Denn diese „Connected Devices“ werden (in unserem Auftrag) zu Administratoren, Researchern, Käufern, Kunden und Personas mit eigenen digitalen Identitäten. Gleichzeitig werden Menschen online immer weiter objektiviert. Die digitale Welt verwandelt menschliche Identitäten in Datensätze; nur so kann Smart Data verarbeitet werden.

In der Folge könnte sich die Gesellschaft von einer Wissensgesellschaft zu einer Identitätsgesellschaft verändern. Die Folgen davon würden dann auch in der Wirtschaft zu spüren sein. Als Konsequenz könnten verschiedene Identitäten nebeneinander bestehen und gepflegt werden: unsere eigenen Identitäten, aber auch die unserer Connected Devices die in unserem Auftrag handeln. Dies wiederum könnte zu einer Stärkung von Marktplätzen führen, die Zugriff auf viele verschiedene Identitäten haben. Auch Plattformen, Dienstleister und Bots, die die Erstellung und das Management von digitalen Identitäten anbieten, würden im Internet of People florieren und prosperieren. (Falls Sie also aktuell auf der Suche nach einer neuen Geschäftsidee sein sollten, das hier könnte sie sein.)

Wie viele Identitäten sollte ein Mensch im Netz haben dürfen?

Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bezieht einen klaren Standpunkt und hält es für falsch, verschiedene Identitäten im Internet zu haben. Doch ist diese Einstellung richtig? Wir Menschen hat das Bedürfnis weit mehr zu sein als lediglich ein (einziger) Datensatz. Wir wollen frei sein und uns auch im Internet so ausdrücken wie wir das möchten. Dazu gehört es auch, sich Identitäten zu schaffen und diese individuell zu managen und zu entwickeln. Hier können Plattformen wie CitizenMe, Respect Network, oder die Qiy Foundation helfen. All diese Plattformen möchten uns dabei unterstützen, unsere eigenen Daten zu managen und zu entscheiden, wie viel wir davon preisgeben. Auch Blockchain-Anwendungen können helfen den Datenaustausch zweier Individuen zu regeln, ohne dass ein Mittelsmann bzw. eine Plattform dazwischengeschaltet ist; doch dazu mehr an einem anderen Zeitpunkt.

Eines ist jetzt schon sicher: Wir werden auch künftig unsere Daten weiter im Internet teilen. Lediglich die Gründe hierfür unterscheiden sich von Person zu Person und reichen von Unwissenheit, dem Wunsch nach Anerkennung oder dem Versprechen von Unsterblichkeit, bis hin zur Angst vor Ausgrenzung. Und gleichzeitig wollen wir uns auch die Freiheit nehmen, mehrere Identitäten zu haben und verschiedene Leben im Internet zu führen. Denn so können wir auch in der digitalen Welt Daten preisgeben und doch gleichzeitig ein Gefühl von Privatsphäre sicherstellen.

Eine wichtige Frage die wir uns künftig stellen werden lautet:

Werden wir künftig mit Maschinen und mit uns selbst um unsere digitalen Identitäten konkurrieren?

Mit dieser Frage verabschiede ich mich und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Verlangen Sie die Datenhoheit über Ihr Leben!

Sie möchten erfahren, welche Möglichkeiten Sie haben Ihre eigenen digitalen Kompetenzen, oder die Ihrer Mitarbeiter*innen zu stärken? Dann sprechen Sie mich an und melden Sie sich für mein Seminar für digitale Quereinsteiger*innen an.

Mit herzlichen Grüßen,

Kim Y. Mühl // Botschafter für sinnvolle und sinnstiftende Digitalisierung

--

--

Kim Y. Mühl
Kim Y. Mühl

Written by Kim Y. Mühl

0 Followers

Autor, Berater und Deutschlands erster Botschafter für sinnstiftende Arbeit und sinnvolle Digitalisierung /// https://www.kim-muehl.com/impressum/

No responses yet