Islamic Finance und die digitale Islam-konforme Vermögensanlage in Deutschland?

Kim Y. Mühl
9 min readJul 27, 2021

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Der Islam ist die am schnellsten wachsende Weltreligion

Der Islam ist derzeit die am stärksten wachsende Religionsgruppe — auch in Deutschland. Nach Schätzungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird der Anteil der Weltbevölkerung mit muslimischer Religionszugehörigkeit 2050 29,7 Prozent erreichen — 2010 lag dieser bei 23,2 Prozent. Nur das Christentum ist mit einem Anteil von 31,4 Prozent stärker vertreten. Dieses wird nach aktuellen Schätzungen jedoch nicht weiter zunehmen.

Im Jahr 2019 lag der Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Deutschland bei 4,3 Millionen Menschen. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung soll Prognosen zufolge von 6,9 Prozent im Jahr 2020 bis zum Jahr 2050 auf 10 Prozent steigen. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Christen in Deutschland — im Jahr 2010 noch bei 68,7 Prozent — ab und wird 2080 weniger als 60 Prozent betragen. Diese Zahlen sind im Vergleich zum Christentum und sogar zum Atheismus ausgesprochen gering. Doch betrachtet man sie als unterrepräsentierter Nischenmarkt im Finanzbereich, werden sie durchaus relevant.

Verteilung der Bevölkerung in Deutschland nach Religionszugehörigkeit

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pew Research Center (2015)

Islamic Banking unterliegt den islamischen Regeln

Eine besondere Form des Bankwesens ist das islamische Bank- und Finanzwesen (engl.: islamic banking and finance). Das weltweite Geschäft mit der Sharia-konformen zinslosen Anlage ist in den letzten vier Jahren jährlich um 17,6 Prozent gewachsen und machte laut Deloitte im Jahr 2018 insgesamt 3,4 Billionen Euro aus. Ein Grund mehr, sich etwas genauer mit dem islamische Bank- und Finanzwesen zu beschäftigen.

Der Ethikrat entscheidet über die Sharia-Konformität. Islamische Banken unterliegen einem Ethikrat, der sich aus Islamgelehrten zusammensetzt und sich an den international anerkannten Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions Standards (AAOIFI) orientiert.

Nach islamischem Recht herrscht ein Verbot des ex-ante Zinses Ribā (zu Deutsch: Argwohn) und des Glücksspiels. In der wissenschaftlichen Literatur beschreibt der Grundbegriff Ribā alle Formen des festen ex-ante Zins (engl.: interest), allen voran der Wucherzins (engl.: usury). Danach wird jeder Mehrbetrag, der auf Kapital zu entrichten ist, als Ribā klassifiziert und ist nach islamischem Recht verboten. Die Hauptquelle des islamischen Rechts ist der Koran, doch neben dem Koran wurde auch die Sunna (die Überlieferungen der Aussprüche und des Handelns des Propheten Mohammed), Hadith (Berichte von Mohammeds Weggefährten über dessen Handeln), die Pflichtenlehre Shariah sowie die Fatwah (religiöse Urteile — Präzedenzfälle — von Rechtsgelehrten) bei der Begründung des Ribā-Verbotes herangezogen.

Das Zinsverbot hat weit stärkeren Einfluss auf die Modellierung des islamischen Bankensystems als etwa die Ver- und Gebote auf Güter (etwa Alkohol oder Schweinefleisch) und den Handel mit diesen. Im Koran (Sure 2,275) heißt es: „Diejenigen, die Zins nehmen (w. verzehren), werden (dereinst) nicht anders dastehen als wie einer, der vom Satan erfasst und geschlagen ist (so dass er sich nicht mehr aufrecht halten kann). Dies (wird ihre Strafe) dafür (sein), dass sie sagen: ‚Kaufgeschäft und Zinsleihe sind ein und dasselbe.‘ Aber Gott hat (nun einmal) das Kaufgeschäft erlaubt und die Zinsleihe verboten.“

Das bedeutet jedoch nicht, dass Risiko im Islamic Banking grundsätzlich verboten ist. Im Gegenteil manifestiert sich eine Risikobereitschaft in der gängigen Praxis islamischer Banken, die in der Regel auf Erfolgsbeteiligungspartnerschaften beruhen. Streng genommen schließt Sure zwei, Vers 275 des Korans dabei schon das Führen eines Sparbuchs aus. Bei der Erfolgsbeteiligungspartnerschaft — dem islamischen Äquivalent zur Geldanlage, ist das Ribā-Verbot, einzuhalten. Um diesem Verbot zu begegnen investieren islamische Banken ihr Kapital, bzw das ihrere Anleger:innen, in Form von Partnerschaften mit Erfolgsbeteiligung. So haben Anleger:innen auch im Islamic Banking die Möglichkeit, am Erfolg (und somit am Gewinn) der von ihnen (mit-)finanzierten Unternehmungen teilzuhaben. Gleichzeitig gehen sie aber auch das Risiko ein, bis zur Einlagenhöhe für mögliche Verluste zu haften.

Nicht nur der Wucherzins, sondern auch das Glückspiel ist Tabu. Neben Ribā besteht nach islamischem Recht (also auch beim Islamic Banking) zudem ein grundsätzliches Verbot des Gharar — des Glücksspiels und des risikoreichen Spekulierens mit Gütern oder Dienstleistungen, deren Existenz oder Charakteristika nicht eindeutig bestimmt sind und deren Handel dem Glücksspiel ähnelt. Im Grunde herrscht also ein grundsätzliches Verbot der Spekulation und der Ungewissheit.

Die Islam-konforme Handelsfinanzierung richtet sich nach murabaha-Verträgen, die ein Mark-Up-Geschäft darstellen, bei dem eine Bank gegen Aufpreis Unternehmer:innen (Kund:innen) ein von ihnen benötigtes Gut beschafft und bereits vor Zahlung des Kaufpreises zur Verfügung stellt.

Daneben ist auch Leasing auf Basis eines Ijarah-Vertrags (auch Idschara genannt) möglich. Dabei handelt es sich um ein Leasingabkommen, bei dem eine vereinbarte Leasingrate (arabisch: Udschra / ‏أجرة‎ / uǧra) erhoben wird. Der Leasinggegenstand bleibt die gesamte Zeit über im Besitz der Eigentümerin oder des Eigentümers und geht nach Ablauf der Leasingzeit wieder von dem oder der Leasingnehmer:in (Musta’dschir / ‏مستأجر‎ / mustaʾǧir) an den oder die Leasinggeber:in (Mu’addschir / ‏مؤجر‎ / muʾaǧǧir) über.

Beim Islamic Banking werden zwei Hauptformen der Partnerschaftsverträge gängig praktiziert, die mit Equity-basierten Finanzierungsformen konventioneller Banken vergleichbar sind: Musharaka und mudaraba.

Musharaka-Partnerschaftsverträge sind mit einer vollen Partnerschaft zu vergleichen. Hier finanziert die Bank ein Projekt/eine Unternehmung über die Bereitstellung von Kapital und erwirbt damit das Recht auf gemeinsame Geschäftsführung. Im Vertrag ist zudem eine Gewinnbeteiligungsquote festgelegt.

Mudaraba-Partnerschaftsverträge auf der anderen Seite gleichen einer stillen Partnerschaft und beinhalten nicht das Recht zur gemeinsamen Geschäftsführung. Auch wird die Gewinnbeteiligungsquote nicht wie bei Musharaka-Verträgen am Gesamtgewinn bemessen, sondern nach dem Kapitalanteil.

Die Herausforderung des Erfolgsbeteiligungs-Ansatzes für klassische Finanzunternehmen die Islamic Banking anbieten möchten besteht vor allem in der Verantwortung bei der Finanzberatung und der Auswahl geeigneter Aktien/Anleihen. Für das Islamic Banking werden daher qualifizierte Mitarbeiter:innen benötigt, die in der Lage sind, Risiko, Rentabilität, Liquidität und Nachhaltigkeit (Magisches Viereck) Scharia-konform zu gestalten. Das ist anspruchsvoll und komplex; aber nicht undenkbar.

Islamic Finance — die Islam-konforme Geldanlage

Auch die Geldanlage im Islamic Finance unterliegt Islam-konformen Kriterien. Grundsätzlich ausgeschlossen vom Handel sind demnach Branchen bzw. Segmente wie die Alkohol- und Tabakindustrie, das Glücksspiel, Erotik, Waffen und Teile der Musikindustrie und Nahrungsindustrie (z.B. Schweinefleisch) sowie konventionelle Banken und Versicherungen, aber auch Hotelketten oder Fluggesellschaften, die Gästen Alkohol ausschenken. Unternehmen, die in Verbindung zu diesen Branchen/Segmenten stehen, sind in der islamischen Geldanlage ebenfalls verboten. Eine weitere Einschränkung ist der Verschuldungsgrad des Unternehmens. Dieser darf maximal ein Drittel der Marktkapitalisierung sein — eine Vorsorgemaßnahme, die die islamische Geldanlage auch vor Finanzblasen schützen soll.

Als Alternative bietet die islamische Geldanlage Islam Fonds an, die auf Sukuk oder Takaful basieren. Der Begriff Sukuk beschreibt Islam-konforme Anleihen (bzw. Zertifikate) und bezieht sich auf die nach islamischem Recht erlaubte Beteiligungsstruktur, bei der Beteiligungsausschüttungen Zinszahlungen ersetzen). Der Begriff Takaful basiert hingegen auf dem Prinzip des Solidarfonds, bei dem Mitglieder Geld in einen gemeinsamen Topf einzahlen, das im Schadensfall Betroffenen ausgezahlt werden kann. Ein Beispiel eines solchen Fonds ist der aktiv gemanagte Mischfonds Meridio Global Islamic Multi Asset. Hier wird ausschließlich in islamkonforme Rohstoffe, Infrastruktur, Logistik und Nahrungsmittel sowie die Immobilienbranche und Pharmaindustrie investiert.

Nach dem Prinzip der Islam-konformen Geldanlage sind Profite zwar zugelassen, jedes Geschäft braucht allerdings einen realen Gegenwert und jedes Risiko wird geteilt. Dies trifft auch auf die Kreditvergabe bei der zuvor vorgestellten KT Bank AG zu: Beim Hypothekenkredit beispielsweise geht ein/e Kund:in mit der Bank eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein. Anschließend kauft die Bank das Haus für ihre/n Kund:in und verkauft es ihm oder ihr anschließend mit einem Aufschlag, den er oder sie in Raten abzahlen kann — der oder die Kund:in kauft der Bank die GbR-Anteile also wieder ab. Dieser ‚Kniff‘ ist notwendig, um die doppelte Übertragung der Immobilie und damit die doppelte Gewerbesteuer zu vermeiden. Die Raten sind dabei fix und unterliegen keiner Zinsänderungen — sie entsprechen also einem festen Zins. Für Konsumkredite oder Unternehmenskredite (etwa die Anschaffung von Maschinen für Gewerbetreibende) wird dasselbe Finanzierungsmodell angewandt, mit der Ausnahme, dass auf die GbR verzichtet wird.

Die Digitalisierung vereinfacht Islamic Banking und Finance

Mit der Digitalen Transformation wird es erstmals möglich, Islam-konforme Finanzprodukte zu individualisieren. Wie die meisten Menschen in Deutschland haben auch muslimische Mitbürger:innen das Bedürfnis nach digitalen Lösungen wie etwa mBanking, mPayment und der Beratung per Video oder Chat.

Für Frau Raja Teh Maimunah, CEO der Hong Leong Islamic Bank in Kuala Lumpur, stehen die Begriffe Digital und Innovation keinesfalls in Konflikt mit der Scharia. Nach ihrer Auffassung war die islamische Kultur schon vor rund 1400 Jahren, als sie sich (nach ihrer Auffassung) auf dem Höhepunkt der islamischen Zivilisation befand, die Nation mit den größten Innovationen der Welt. Weiter argumentiert sie, dass eine der größten Vorteile der Islamic Finance die Inklusion sei und dass eine digitale Strategie diese sehr viel leichter macht. Lawrence Wintermeyer vom Forbes Magazin hält es ähnlich wie Raja Teh Maimunah und schrieb im Jahr 2017 anlässlich der 24. World Islamic Banking Conference (WIBC) in Bahrain einen ausführlichen Beitrag mit dem Titel: „The Future Of Islamic FinTech Is Bright“.

Der deutsche Islamic Banking- und Finance-Markt ist unterversorgt

Heute hat praktisch jede deutsche Großbank eine Filiale in Dubai und Bahrain. Die Nachfrage an Islamic Banking ist, seit sich Deutsche und weitere westliche Banken damit auseinandersetzen, stark angestiegen. Dies liegt mitunter daran, dass die Produkte dieser Banken Islam-Konformität mit weltweit hoch geschätzten westlichen Sicherheitsstandards verbinden. Vor allem die Deutsche Bank ist schon seit Jahrzehnten im islamischen Raum tätig. Bereits vor 40 Jahren öffnete sie die erste Filiale in Bahrain und finanzierte auch die legendäre Bagdadbahn von Istanbul in der irakischen Hauptstadt. Inzwischen stellt die Deutsche Bank millionenschwere Anleihen für muslimische Investor:innen bereit — allerdings (fast) nur im Ausland. „Das Besondere daran ist, dass an die Inhaber keine Zinsen gezahlt werden. Sie werden stattdessen am zugrunde liegenden Vermögen, zum Beispiel Mieteinnahmen beteiligt“, erklärt die Handelsblatt Korrespondentin Melanie Bergermann.

Auch westliche Finanzunternehmen setzen auf Islamic Banking und Finance. Neue Kooperationsmodelle und die Digitale Transformation der Geldanlage ermöglichen es nun auch westlichen Banken, Finanzdienstleister:innen und Versicherungen, sich trotz Zinsverbot an die 1,4 Milliarden Muslime weltweit zu richten, deren Vermögen nach Schätzungen der Deutschen Bank bei etwa 1,8 Billionen Euro liegt — ein riesiger, kaum erschlossenen Markt.

Die Islam-konforme Geldanlage hat in Deutschland großes Potenzial!

Im Jahr 2015 nutzten lediglich fünf Prozent der 4,3 Millionen in Deutschland lebenden Moslems Islamic Banking — das sind immerhin 215.000 Menschen. In diesem Jahr betrat allerdings gerade die erste Islam-konforme Bank, die KT Bank, den deutschen Markt und diese gab zwei Jahre später in einem Interview bekannt „eine vierstellige Anzahl an Retail-Kunden aus 68 Nationen sowie Hunderte von Firmenkunden“ zu haben. Daraus schließe ich, dass weit über 200.000 Anleger:innen und Gläubiger:innen in Deutschland aus religiöser Überzeugung und aus Mangel an regionalen Alternativen eine im Ausland ansässige islamische Bank aufsuchen und ihr Erspartes in der (alten) Heimat anlegen müssen. „Die gesamte islamische Welt ist mit Scharia-konformen Produkten noch unterversorgt“, erklärt Bergermann. Dabei haben Untersuchungen des Institute of Islamic Banking and Insurance schon 2006 ergeben, dass zwei Drittel der in Deutschland lebenden Muslimas und Muslime religiös sind und teilweise sogar stärker an den Koran glauben, als es die Menschen in Dubai und Abu Dhabi tun.

Bisher lag das Problem der deutschen Finanzinstitute, Finanzberater:innen und Vermögensverwaltungen bei der Bedienung islamischer Kund:innen vor allem darin, dass die muslimische Gemeinschaft in Deutschland weit heterogener ist als in anderen (muslimischen) Ländern, wie etwa Indonesien. Allgemeine Anlageprodukte trafen nicht den Geschmack der Anleger:innen, also die richtige Mischung aus Rendite, Risiko und Verfügbarkeit. Stattdessen fordern muslimische Anleger:innen — wie alle anderen Anleger:innen im übrigen auch — in der heutigen Zeit eine ganze Reihe von individuell auf sie abgestimmten Produkten.

Enormes Potenzial besteht auch für Plattformen im Bereich Peer-to-Peer Payment, Lending und Donation sowie in Crowd-basierten Lösungen. Insbesondere Spenden — also Geben — ist ein wichtiger Teil des Islams. Sofern kein Zins erhoben wird, sind diese Lösungen in der Regel grundlegend Islam-konform. Schließlich kommen sie aus einem Umfeld, das unzufrieden mit dem Status quo (also dem Handeln der konventionellen Banken) war und Nischen bedienen möchte, die viele Banken bisher außer Acht gelassen haben.

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Dies war ein Ausschnitt aus Bionic Wealth: Die nächste Generation der Vermögensanlage ist inspiriert vom Leben. In der umfangreichen Meta-Studie können Sie mehr über das Potenzial von Islamic Banking und Islamic Finance erfahren und interessante Fallstudien zu islamischen Unternehmen und Anlagekonzepten in Deutschland lesen. Darüber hinaus bietet Arsalan Khan, Doktorand mit Schwerpunkt islamische Rechtslehre, einen spannenden Einblick in Islamic Finance in Deutschland.

Bionic Wealth: Die nächste Generation der Vermögensanlage ist inspiriert vom Leben

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Kim Y. Mühl
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