Die Digitale (R)Evolution | Teil 8: Kundenaccompaniment & -mobilisierung

Kim Y. Mühl
7 min readFeb 1, 2021

So begeistern Sie Ihre Kund:innen für digitale Finanzprodukte und -dienstleistungen.

Der Digitale Wandel ist eine große Herausforderung für Finanzunternehmen. Die hauseigene IT-Infrastruktur muss auf den aktuellen Stand der Technik gebracht werden und für das globale Ökosystem geöffnet werden. Solange die eigenen Mitarbeiter:innen allerdings nicht mitziehen und einen Mehrwert in der Digitalisierung erkennen (anstatt einer Bedrohung für ihren Arbeitsplatz). Doch auch das garantiert noch lange keinen Erfolg. Dann bei aller Euphorie für die technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts beobachte ich immer wieder, wie Banken und Vermögensberatungen einen gravierenden Faktor vergessen: Ihre Kund:innen. Nur wenn Sie Ihre Kund:innen durch die Digitale (R)Evolution begleiten werden diese digitale Finanzprodukte und -dienstleistungen wirklich annehmen.

Schritt 1: Wissenslücken schließen und Vertrauen wiederherstellen

Mit der Digitalen Transformation verändern sich auch die Ansprüche an die Beratung und den Service von Finanzunternehmen. Neben den technischen Herausforderungen bei der Umstellung auf digitale Systeme stellt die Begleitung der Kund:innen eine der größten Herausforderungen dar. Damit Sie auf die Ansprüche Ihrer Kund:innen im digitalen Zeitalter eingehen können, ist es daher wichtig, sich zunächst ein Bild davon zu machen, wo Ihre Kund:innen in „ihrer Digitalisierung“ stehen.

Ich weise darauf hin, dass weite Teile Deutschlands sowie innerhalb der EU besorgniserregende Lücken im Wissen um Finanzen und Geldangelegenheiten aufweisen. Der erste Schritt in der Digitalen Transformation sollte es daher sein, Vertrauen bei den Kund:innen aufbauen, den Dialog mit ihnen zu suchen und sie über Finanzthemen und -produkte aufzuklären — aber ausschließlich auf Augenhöhe und nicht belehrend von oben herab. Transparenz und offene Kommunikation sind ergebende Erfolgsfaktoren im Kundenservice 4.0 — und für einen Großteil der Finanzunternehmen eine enorme Herausforderung. Insbesondere, solange Geld im privaten wie beruflichen Umfeld vieler als Tabuthema eingestuft wird. Erst wenn das Vertrauen in Sie, Ihr Unternehmen und das Finanzsystem bei den Kund:innen hergestellt ist, können Sie im zweiten Schritt damit beginnen, bei Kund/Innen das Vertrauen in die Kompetenzen der Beratung sowie in Finanzprodukte und -vehikel aufzubauen.

Schritt 2: Kundenakzeptanz zu digitalen Themen gewinnen

Jegliche Sicherheitsbedenken der Kund:innen müssen ernstgenommen werden! Ist das Grundvertrauen in den Finanzmarkt und die Beratung hergestellt, können Sie sich an die nächste Herausforderung wagen: Den Aufbau der Kundenakzeptanz und -risikoeinschätzung zu digitalen Angeboten, Technologien und Systemen. Eine Kernherausforderung stellt in diesem Zusammenhang der richtige Umgang mit Sicherheitsbedenken dar. Was in diesem Fall ‚richtig‘ ist, variiert stark je nach Kontext und Individuum.

Fest steht, dass es übergreifende Bedenken in Bezug auf den Datenschutz, den Diebstahl von (digitalen) Informationen, die Sicherheit von Zahlungsmitteln, die Vertrauenswürdigkeit von Apps und sogar die Sicherheit von mobilen Anwendungen über das Smartphone gibt. Es liegt bei Ihnen und Ihrem Unternehmen, diese Sicherheitsbedenken proaktiv und vorwegnehmend zu adressieren. Sind Datenprozesse (zum Beispiel rund um digitale Portfolio Management Systeme oder Bezahlsysteme, oder über die digitale Kommunikation mit den Berater:innen und wer noch Zugang zu diesen Informationen hat) für Kund:innen nicht nachvollziehbar, wird es umso schwieriger, bei den Kund:innen eine Akzeptanz für digitale Produkte und Dienstleistungen oder den digitalen Kundenservice zu erreichen. Auch darf es zu keiner Zeit einen Medienbruch geben, der die Kund:innen stört. Eine zweite Chance gibt es selten…

Eine mögliche Hilfestellung ist es hierbei, sich den hohen Stellenwert der persönlichen Beratung, aber auch den des Bargeldes für Kund:innen bewusst zu machen. Genau wie die persönliche Beratung Vertrauen schenkt, indem sie in einem sicheren Umfeld stattfindet und man sich auf das Wort seines Gegenübers verlassen kann, gilt das Bargeld, bzw. das Sparbuch, als dominierender Vergleichsmaßstab zu Alternativen digitalen Finanzinstrumenten und -vehikeln — in Hinsicht auf Schnelligkeit, Nützlichkeit, Sicherheit und Rendite. Erscheint beispielsweise ein digitales Anlageverfahren zu kompliziert, da die technischen Funktionsweisen und Strukturen dahinter nicht verstanden werden, ist es unwahrscheinlich, dass die Kund:innen sich darauf einlassen.

Das Gleiche gilt auch für den digitalen Kundenservice und die Online-Beratung: Müssen sich Kund:innen online zunächst ein digitales ‚Ticket ziehen‘, wird zu oft zwischen Chatbot und Berater:innen gewechsel, oder gibt es lange Wartezeiten vor einer Rückmeldung — sei es im Chat oder per E-Mail — , werden diese digitalen Kommunikationsmethoden abgelehnt werden. Bestenfalls greifen frustrierte Kund:innen zum Hörer, wahrscheinlicher aber wechseln sie früher oder später den Anbieter.

Unbedingt Rücksicht nehmen auf die deutsche Mentalität !

In der global denkenden Finanzbranche wird schnell vergessen, wie eigen die Deutschen beim Thema Finanzen sind. Viele Finanzunternehmen beschäftigen sich ungerne mit dem Thema finanzielle Aufklärung (engl.: financial literacy) und sehen es eher als eine lästige Pflicht an. Gerade für zukunftsorientierte Unternehmen ist es daher wichtig, die deutsche Mentalität dahingehend zu verändern, dass sich Kund:innen gerne mit ihrer Geldanlage beschäftigen. Heute dominiert vor allem die Angst vor höheren Gebühren mit dem eigenen Konto das Bild der deutschen Sparer:innen. Die hohen Anforderungen bei den Themen Kosten, Datensicherheit und Vertrauen unter einen Hut zu bringen, ist vielleicht eine der am meisten unterschätzten Herausforderungen für Unternehmen der Branche. Die deutsche Kundschaft ist anspruchsvoll — das sollte bei jedem zukünftigen Konzept beachtet werden. Es ist daher sinnvoll, nach neuen Lösungen und Ansätzen zu suchen, die dabei helfen Kund:innen für Finanzprodukte zu begeistern und dafür zu sorgen, dass sich auch innovative Produkte vermarkten zu lassen.

Zu den Mindestanforderungen für gute Kundenberatung im deutschsprachigen Raum zähle ich, dass alle Informationen zu Finanzprodukten und Dienstleistungen auf Deutsch verfügbar sein müssen; möglichst ehrlich, transparent und leicht verständlich kommuniziert werden; und dass bei der Berücksichtigung von Interessen und Risikobereitschaft künftig neben den Faktoren Sicherheit, Rentabilität und Liquidität auch Nachhaltigkeit und Verantwortung (nach ESG, SRI, UN SDG, etc.) kommuniziert wird.

Schritt 3: Digitales Potenzial ausschöpfen und Kund:innen mobilisieren

Der vielleicht wichtigste Schritt, um Vorteile aus der Digitalen Transformation zu erzielen, ist die Mobilisierung Ihrer Bestandskund:innen. Auch heute sind noch längst nicht alle Kund:innen für digitale bzw. Online-Angebote und Dienstleistungen registriert und noch weniger nutzen diese Dienste konsequent. Die Mobilisierung der Kund:innen auf dem beschwerlichen Weg zum digitalen Bank- und Versicherungswesen erfordert erhebliche Mittel und Anstrengungen über mehrere Jahre hinweg, damit die Maßnahmen zur digitalen Migration erfolgreich sein können. Die Maßnahmen sollten dabei stets auf den spezifischen Zielmarkt zugeschnitten sein.

Die Grundvoraussetzung für die digitale Migration ist ein Vorhandensein der benötigten IT-Infrastruktur sowie die Bereitstellung digitaler Angebote und Dienstleistungen — auch wenn diese zunächst als sogenanntes Minimum Viable Product (MVP) angeboten und später erweitert, verbessert und verschönert werden. Nachdem Infrastruktur und Angebot stehen, stehen Ihnen eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, Ihre Kund:innen zu mobilisieren.

Bain & Company schlagen sieben Schritte vor, die ein Finanzunternehmen bei der Mobilisierung von Kund:innen unternehmen kann. Diese steigen in ihrer Radikalität und umfassen sowohl weiche (engl.: soft measures) als auch drastische Maßnahmen (engl.: hard measures), die ein gewisses Maß an Mut und Rückgrat voraussetzen.[1]

Zu den weichen Mobilisierungsmaßnahmen zählen:

1. Kommunikationskampagnen. Finanzunternehmen können Medienkanäle nutzen, um für ihre digitalen Bankdienstleistungen zu werben. Traditionelle Medienkanäle wie Fernsehen und Zeitungen können genutzt werden, um die ältere Generation anzusprechen, während modernere Medienkanäle wie Facebook, YouTube und Instagram genutzt werden können, um jüngere Kund:innen zu gewinnen.

2. Sicherheiten garantieren können. Eine Möglichkeit, wie Finanzunternehmen ihre Kund:innen für die digitale Migration mobilisieren können, besteht darin, ihnen Garantien für die digitale Absicherung zu bieten. Dazu zählt etwa eine vollständige Rückerstattungen im Falle von Datenleaks. Wenn die Kund:innen wissen, dass sie vor Verlust geschützt sind, werden sie eher geneigt sein, digitale Anwendungen zu nutzen.

3. Digitale Interaktionen personalisieren. Der Grund, warum die meisten Menschen nicht zur digitalen Beratung übergehen, ist, dass sie das menschliche Element der Beratung nicht verlieren wollen. Es ist einfacher, jemandem zu vertrauen, den oder die man im Zweifel persönlich treffen bzw. zur Verantwortung ziehen kann. Bank- und Versicherungsangestellte können die Kund:innen in den Filialen aufklären und ihnen bei der Migration in die digitale Sphäre helfen. Die Interaktion zwischen Kund:innen und Finanzunternehmen kann allerdings auch durch hybride Ansätze persönlicher gestaltet werden.

4. Positive Verstärkung. Belohnungen für die Teilnahme an Maßnahmen zur digitalen Migration können die Akzeptanz zusätzlich steigern. Die Anreize (engl.: incentives) können einmalige oder regelmäßige Aktionen sein.

Drastische Mobilisierungsmaßnahmen sind:

5. Anhebung der Preise für nicht-digitale Dienste. Finanzunternehmen können Kund:innen, die sich nicht an ihren digitalen Migrationsinitiativen beteiligen, indirekt bestrafen. Sie können etwa günstigere Gebühren für das Online-Banking/Brokering anbieten als das traditionelle Finanzgeschäft. Es mag radikal wirken, aber als Teil einer in sich geschlossenen Digitalisierungsstrategie sind die Belohnungen den Ansatz wert.

6. Einführung von Barrieren und Hindernissen für bestimmte Dienstleistungen. Finanzunternehmen können mehr Kund:innen für digitale Kanäle gewinnen, indem sie den Zugang zu traditionellen Dienstleistungen zugunsten digitaler Dienstleistungen erschweren. Dies lässt sich etwa über eine Reduzierung der Zahl der Schalterbeamten in den Filialen oder die Öffnungszeiten anzupassen realisieren.

7. Vollständige Abschaltung der analogen Dienste. Finanzunternehmen können auch Dienstleistungen, die derzeit zu teuer oder zu umständlich sind, um sie traditionell anzubieten, komplett einstellen, um die Teilnahme an der digitalen Migration zu erhöhen. Diese Entscheidung kann u.a. auch in der Schließung einer Filiale oder Zweigstelle resultieren.

Solange Sie diese drei Schritte beherzigen, haben Sie gute Chancen, Ihr Finanzunternehmen — sei es eine (Privat-)Bank, ein (Multi-)Family Office oder eine Versicherung — erfolgreich durch die Digitale (R)Evolution zu navigieren. Vorausgesetzte, Ihr Unternehmen verfügt über einen ausreichend hohen Digitalisierungsgrad, ausgezeichneten Kundenservice und eine ausgeklügelte Digitalstrategie. Mehr dazu erkläre ich in meinen nächsten Artikeln.

Dies war ein Ausschnitt aus Bank 4.0: Wie Digital Leader Gewinne steigern, Kosten senken und neue Ertragsquellen erschließen

Literatur:

[1] Vgl. Vater, D., Engelhardt, J., Fiedling, J. & Hatherall, R. (2019): Digitale Transformation der Banken: Unterschätzter Faktor Mensch. In: Bain & Company (29.10.2019)

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Kim Y. Mühl
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