Die Digitale (R)Evolution | Teil 7: Digital Empowerment

Kim Y. Mühl
7 min readFeb 1, 2021

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Empathie ist der Schlüssel

Große Innovationen — von der ersten Dampfbahn zum Anti-Blockier-System — wurden stets von Warnungen über mögliche negative Auswirkungen begleitet, die sich selten bewahrheitet haben. Sicher, sowohl das Ablösen der Feldarbeit durch Maschinen, das Verdrängen der Pferdekutsche durch das Auto oder die Einführung des mechanischen Webstuhls haben Existenzen (Arbeitsplätze) gekostet. Doch rückblickend überwiegt der Mehrwert, den solche Innovationen der Wirtschaft und Gesellschaft gebracht haben, die negativen Nebeneffekte.

Das größte Hindernis bei der Einführung neuer Technologien und Prozesse ist die Akzeptanz im eigenen Haus. Veränderungen stoßen immer auch auf Ablehnung. Sie lösen Ängste und Unsicherheiten aus und bedrohen die eigene Stellung. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf Change Management (Veränderungsmanagement) eingehen, denn es würde den Rahmen dieser Publikation sprengen. Ich kann aber nicht unerwähnt lassen, wie wichtig die gute Kommunikation ist und welchen Stellenwert die Einbeziehung aller Abteilungen, Mitarbeiter:innen und Partner:innen hat.

Qualität beginnt beim Menschen, nicht bei den Dingen. Wer hier einen Wandel herbeiführen will, muß zuallererst auf die innere Einstellung aller Mitarbeiter abzielen.“ — Philip B. Crosby (1926–2001), Schrifsteller.

Ist die neue Kollegin eine Maschine?

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine junge, gut gebildete, vielversprechende, flexible, engagierte und hoch motivierte Mitarbeiter:in eingestellt. Sie sind absolut begeistert von ihrem Talent und ihrem Lebenslauf und setzen große Hoffnungen in sie. Immerhin soll sie nichts Geringeres erreichen, als Ihr 400-Köpfe-starkes Unternehmen zukunftsfähig zu machen. In den kommenden Wochen wird sie sich mit allen Abteilungen im Unternehmen austauschen, Prozesse optimieren und automatisieren, das Ordering- und Portfoliomanagement revolutionieren, Rebalancing für zehntausende Kundenportfolios durchführen, und so weiter und so fort. Eine richtige Überfliegerin eben.

Jetzt stellen Sie sich vor, diese Mitarbeiterin kommt an ihrem ersten Arbeitstag ins Büro und wird in einer kurzen Rundmail als Hochbegabte vorgestellt, die fortan Tag und Nacht erreichbar sein wird und viele Aufgaben der Kolleg:innen übernehmen wird. Leider haben Sie versäumt, sie vorab anzukündigen und es wurden auch keine Gespräche mit den Mitarbeiter:innen geführt, wie das neue Talent sie entlasten kann und wie sie ihre neu gewonnene Zeit stattdessen nutzen können. Zudem ist das Büro der neuen Überfliegerin noch nicht bezugsbereit, sodass sie zunächst in einer dunkeln Abstellkammer im Keller ihr Lager aufschlägt. Da sie in Gebäude B untergebracht ist, welches gerade eine Baustelle vor der Tür hat und von der lokalen Infrastruktur abgeschnitten wurde, hat sie auch keinen direkten Zugang zu Hauptgebäude A, in dem die Kundenberater:innen sitzen.

Eine Woche nachdem die junge Überfliegerin ihre Arbeit aufgenommen hat, besuchen Sie sie im ihr zugewiesenen Abstellraum; das Büro wurde inzwischen doch lieber für andere Zwecke verwendet. Von weitem sehen Sie, wie die junge Mitarbeiterin das Gespräch mit den Abteilungsleiter:innen und Mitarbeiter:innen sucht. Doch anstatt einer Antwort erhält sie nur böse Blicke und Beleidigungen. Das Team lehnt sie ab, ignoriert sie, bremst sie aus und boykottiert sie. Sie sind fassungslos von dieser Reaktion. Dabei war sie abzusehen…

Sie haben es wahrscheinlich vermutet, aber bei der hier erzählten Geschichte handelt es sich um eine Parabel. Die Mitarbeiterin steht für eine neue Technologie — eine Software oder Hardware — die aus einer Top-Down Entscheidung heraus für das Unternehmen ausgewählt wurde um die Angestellten zu entlasten. Denn genau das geschieht jeden Tag in zahllosen Unternehmen. Statt Begeisterung auszulösen ernten derartige Digitalisierungsstrategien in der Realität meist nur Ärger und Spott. Unterschätzen Sie deshalb bitte nie die Dynamik, die erzwungene Veränderungen auslösen.

Ohne ordentliches — und damit meine ich empathisches — Change Management kann keine Veränderung erfolgreich umgesetzt werden. Alles was bei Ihren Mitarbeiter:innen hängen bleibt ist die potenzielle Bedrohung, die von der neuen Überfliegerin (hier als Metapher für eine neue Technologie, bzw. die Digitale Transformation) ausgeht und die den Arbeitsplatz, die Karriere, die Existenz, ja die Identität Ihrer Mitarbeiter:innen bedroht. Ob das nun zutrifft oder nicht, das Gefühl der Bedrohung ist alles was zählt. Der Schaden, der durch schlechte Kommunikation entsteht, kann die Träume von Menschen zertrümmern, die Moral und Motivation im Unternehmen senken und dem Brand- und Employer-Image Ihres Unternehmens nachhaltig schaden.

Und wenn tatsächlich einzelne (oder viele) Mitarbeiter:innen ihren Arbeitsplatz verlieren, so gilt umso mehr den Wandel sensibel und empathisch vorzubereiten und zu kommunizieren. Einem Menschen, der lange Zeit loyal für Sie gearbeitet hat, wird hier kommuniziert, dass er (bzw. seine Arbeitskraft) nicht mehr für die Ausübung dieser Tätigkeit gebraucht wird. Die Tätigkeit bleibt vielleicht weiterhin sinnvoll, doch es ist nicht mehr sinnvoll, dass der Mensch ihr nachgeht. Diese Erkenntnis kann heftig wenn nicht sogar traumatisierend sein.

Die sieben Phasen des Wandels

In „Fit for Leadership” nennt Prof. Dr. Richard K. Streich sieben Phasen, nach denen sich Wandel vollzieht: Der Konfrontationsschock, die Abwehrreaktion, die Resignation und Einsicht, die Emotionale Akzeptanz, die Freude am Experimentieren und Lernen, der Lerneffekt und die Integration.[1]

Die sieben Emotionalen Phasen der Veränderung

© Kim Y. Mühl

Bildquelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Streich (2013:25) | © Kim Y. Mühl

1. Konfrontationsschock: „Das kann nicht sein“. Wenn Ihren Mitarbeiter:innen klar wird, dass die Digitale (R)Evolution auch Sie persönlich betrifft, erfolgt in der Regel zunächst ein Schock. Dieser kann sich in Form von Überraschung, Nervosität und sogar Angst zeigen. Nur in seltenen Fällen hingegen empfinden Mitarbeiter:innen Neugierde und Vorfreude wenn es um Veränderungen auf Ihr Arbeitsleben geht. Um den Schock möglichst abzumindern ist es ratsam, von Anfang an zu kommunizieren, dass der Wandel gemeinsam im Team durchlebt werden wird und dass es bereits viele Finanzunternehmen gibt, die den Digitalen Wandel bereits gewagt haben und belohnt wurden.

2. Abwehrreaktion: „Das stimmt nicht!“ Auf den ersten Schock folgt in der Regel eine Phase der Abwehr und Verneinung. Die anstehenden Veränderungen werden schlecht geredet und der kleine „Brain Fucker“ in unserem Kopf beginnt damit, sich in aller Kreativität Schreckensszenarien auszumalen. Gemäß dem Motto „Kennen wir nicht, brauchen wir nicht und wollen wir nicht“ wird eine große „Das haben wir schon immer so gemacht“-Wand errichtet. Das Verständnis für die Notwendigkeit der bevorstehenden Veränderung fehlt noch, weil es den Mitarbeiter:innen an Hintergrundwissen, Fachwissen und positiven Erfahrungen mit der Digitalisierung mangelt. Diese Lücke wird durch Angstfantasien gefüllt. Mitarbeiter:innen an dieser Stelle vor vollendete Tatsachen zu stellen gleicht in etwa dem Anklopfen an der Wand mit einem Presslufthammer. Es ist stattdessen ratsamer, erneut auf erfolgreiche Best Practice Fälle im Markt sowie auf die positiven Aspekte zu verweisen: Die Mitarbeiter:innen werden entlastet, die Arbeitslast der Mitarbeiter:innen sinkt, Ärger mit den Kund:innen wird minimiert und — wichtig — der Wandel wird gemeinsam erarbeitet und vollzogen.

3. Resignation und Einsicht: „Es ist schlimm, aber irgendwie auch logisch…“ Irgendwann weicht der Widerstand der Erkenntnis, dass die Digitale (R)Evolution nicht aufzuhalten ist. Die Mitarbeiter:innen beginnen, die Notwendigkeit der Veränderung zu sehen und kommen zur Einsicht, dass es besser ist, sich mit dem Wandel auseinanderzusetzen, als außen vor zu bleiben. An diesem Punkt können Sie damit beginnen, die Mitarbeiter:innen verstärkt einzubinden. Wer hat welche Vorkenntnisse? Wer möchte sich gerne am Projekt beteiligen und sich in bestimmten Bereichen einbringen? Was könnte verändert werden und womit sollte die Veränderung beginnen? Es ist wichtig, das die Mitarbeiter:innen die Veränderung als unaufhaltsam, aber in ihrem Interesse wahrnehmen. Wenn sich das Gefühl einschleicht, dass sie langfristig mehr Arbeitsbelastung haben werden als vorher, dann wird das Projekt scheitern.

4. Emotionale Akzeptanz: „Eigentlich stimmt es schon…“ Wir sind fühlende Wesen und gefühlte Akzeptanz sickert langsamer durch als die Logik diktiert; besonders dann wenn es sich um Veränderungen handelt, deren Auswirkung auf das eigene Leben ungewiss ist. Je mehr sich Mitarbeiter:innen mit dem anstehenden Wandel auseinandersetzen und je mehr Möglichkeiten und Chancen sie für sich und ihr Unternehmen erkennen, desto stärker stehen sie hinter dem Projekt.

5. Test- und Ausprobierphase: „Wir können es ja mal versuchen…“ Im Verlauf der Umsetzung beginnen die ersten Impulse der Veränderung Früchte zu tragen und Menschen verspüren Freude am Experimentieren und Lernen. Kleine Erfolge, die gekonnt kommuniziert werden, können dabei helfen die emotionale Akzeptanz zu steigern und den Spaß am Projekt wachsen zu lassen. Das Know-How im Team hat sich durch die thematische Auseinandersetzung und Learning on the Job (‚learning by doing‘) verbessert und die Digitale Transformation wirkt plötzlich sehr machbar. An dieser Stelle eröffnet sich eine neue Welt der Möglichkeiten und Ihre Mitarbeiter:innen beginnen damit, sich zu entfalten und vermehrt eigene kreative Ideen einzubringen.

6. Erkenntnis und der Lerneffekt: „Das könnte wirklich funktionieren…“ Die bisherigen Erfahrungen und Fortschritte zeigen, dass die anfänglichen Ängste und Sorgen unbegründet waren. Die neue Lernkurve schafft ein Vertrauen in digitalen Fortschritt und die Erkenntnis kommt, dass das eigene Digital Mindset, bzw. die eigene Digitalität, sich sehen lassen kann.

7. Integration und Konsolidierung: „Das ist doch selbstverständlich!“ Am Ende des Veränderungszyklus wird die Veränderung als selbstverständlich empfunden. Digitalisierung, moderne Technologien, digitale Arbeitsweisen oder optimierte Prozesse werden zum neuen Standard und möchten nicht mehr vermisst werden. Nun kann der Zyklus erneut beginnen, denn: Digitalisierung ist kein Zustand, sondern ein Prozess.

Die eigentliche Herausforderung des empathischen Change Managements liegt allerdings nicht darin, die einzelnen Mitarbeiter:innen durch die sieben Phasen zu begleiten (das kann nur aus einer intrinsischen Motivation heraus geschehen, wie ich in meinem letzten Artikel erklärt habe). Nein, die wahre Challenge liegt darin, die Mitarbeiter:innen als Team durch den Wandel zu begleiten — ob sich dabei um die Einführung einer neuen Regel, einer Software oder einer gesamten Prozessumstellung handelt.

Der Schlüssel, um dies zu erreichen, heißt Accompaniment. In meinem nächsten Buch “Bionic Wealth” wird ein spannender Gastbeitrag von Britta Miksche und Hans-Martin Blättner wird zu diesem Thema erscheinen.

Doch nicht nur das Team muss im Digitalen Wandel begleitet werden, sondern auch die Kund:innen. Wie das gelingt, verrate ich in meinem nächsten Artikel.

Dies war ein Ausschnitt aus Bank 4.0: Wie Digital Leader Gewinne steigern, Kosten senken und neue Ertragsquellen erschließen

Literatur:

[1] Vgl. der sieben Phasen: Streich, R. K. (2013): Fit for Leadership: Entwicklungsfelder zur Führungspersönlichkeit, Springer-Verlag, 2013, ISBN 3658035218

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