Die Digitale (R)Evolution | Teil 10: Die Phasen der Digitalisierung

Kim Y. Mühl
5 min readFeb 12, 2021

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Kennen Sie Ihren Digitalisierungsgrad?

Die Digitale Transformationen erfolgt in mehreren Phasen

Zahlreiche Expert:innen haben sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die IT-Infrastruktur und Kernbanksysteme deutscher Finanzunternehmen auseinandergesetzt und unterschiedliche Entwürfe für ein Digitalisierungsmodell entworfen. Die Modelle basieren auf der Feststellung, dass Finanzunternehmen „unterschiedliche Phasen der Digitalisierung durchlaufen, wobei diese zur gleichen Zeit die Entwicklung in mehreren Phasen vorantreiben können“[1]. Im Folgenden habe ich deshalb die überzeugendsten Konzepte für Sie in einem schlüssigen Fünf-Phasen-Modell zusammengefasst.

Phase 1: die interne Digitalisierung

Die Unternehmensberater Sascha Hermann und Uwe Heinke der PPI AG in Hamburg haben ein vereinfachtes Drei-Phasenmodell der Digitalisierung von Finanzunternehmen entwickelt: In der ersten Phase, der internen Digitalisierung, befasst sich die Bank mit der digitalen Automatisierung von Prozessen. Im Fokus stehen dabei das Reduzieren manueller Eingriffe und das Ausmerzen von Medienbrüchen. So können Aufträge der Kund:innen schneller verarbeitet werden. Der erste Schritt hierzu ist die Digitalisierung analoger Daten. Nach Hermann und Heinke befinden sich viele Finanzunternehmen noch heute in der ersten Phase, „da noch nicht alle digitalisierbaren Daten und Prozesse umgestellt worden sind“[2].[3]

Phase 2: die externe Digitalisierung

Die zweite, externe, Digitalisierungsphase „beschreibt die Bereitstellung von Daten, Produkten und Dienstleistungen für die Kund:innen über digitale Kanäle“[4]. Hierunter fällt beispielsweise das Onlinebanking. Allerdings müssen die externen digitalen Angebote nicht zwingend intern digitalisiert sein. Einerseits gibt es Teilprozesse, die schwierig oder nicht digitalisierbar sind. Andererseits neigen viele Banken dazu, manuelle Prozesse nur langsam zu digitalisieren, um alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen mitzunehmen. Auch, so die Berater der PPI AG, folgt die zweite Phase nicht unbedingt auf die erste, sondern wird häufig zeitgleich durchlaufen. Daher lassen sich die ersten beiden parallel voranbringen.[5]

Phase 3: die End-to-End-Digitalisierung

Sind sowohl die interne als auch die externe Digitalisierung beschritten (jedoch nicht zwingend abgeschlossen), kann mit der dritten Phase, der sogenannten End-to-End-Digitalisierung, begonnen werden. Hier greifen die Kund:innen aktiv in die „Verarbeitungsabläufe und die in diesem Rahmen entstehenden Daten und Informationen“[6] ein: Einzelne Prozesse bzw. Prozessschritte werden zu den Kund:innen ausgelagert. So können die Nutzer:innen beispielsweise online die persönliche Identifikationsnummer (PIN) ihrer Kreditkarte ändern, diese sperren oder via Smartphone-Applikation das Dispolimit erhöhen.[7]

Das traditionelle Banking unterscheidet sich vom digitalisierten End-to-End Banking vor allem in den folgenden fünf Bereichen:[8]

1. Das traditionelle Produktangebot weicht einem Kundenvorhaben, also der konkreten Lösung eines Problems der/des Kund:in.

2. Kund:innen und Finanzdienstleister:innen sind nicht mehr separate Beteiligte, sondern Teil eines Cross-Industrie Ökosystems.

3. Bisher individuelle, unternehmensinterne Prozesse werden unternehmensübergreifend standardisiert (offene Plattform).

4. Die System-Unterstützung, die bisher in Systemgrenzen und Workflow gedacht wurde, wird nun — sofern möglich und sinnvoll — automatisiert.

5. Die bisher funktionsspezifische Arbeitsweise (Fachabteilungen versus IT) wird zur interdisziplinären Arbeitsweise.

Phase 4: die modulare Systemarchitektur

Alt und Puschmann vertreten ein ähnliches Phasenmodell der Digitalisierung, ergänzen dieses jedoch um eine vierte Phase, eine Phase der modularen Systemarchitektur, in welcher eine verstärkte betriebliche Integration digitaler Kernbanksysteme folgt. Serviceorientierte Systemarchitekturen haben eine stark modulare Konstruktion. Dies ermöglicht es Finanzunternehmen, einzelne funktionale Bereiche abzutrennen und an externe Dienstleister:innen zu vergeben. Kooperationen mit FinTechs fallen u.a. in diese Phase. Im Kern geht es in dieser Phase darum, die digitale Architektur zu öffnen, Kernbanksysteme modular aus- bzw. einzugliedern und mit Dritten zusammenzuarbeiten. Die vierte Phase ist deshalb auch die Phase des Open Banking, des FinTech-as-a-Service und der Bank-in-a-Box.[9]

Phase 5: die kundenzentrierte Produkt- und Prozessdigitalisierung

Die (noch bevorstehende) fünfte Phase wird nach Prof. Dr. Frederik Ornau sowohl Prozesse als auch Produkte umfassen und „einen Paradigmenwechsel von einer bankzentrierten Inside-Out-Sicht hin zu einer kundenzentrierten Outside-In-Sicht“[10] bewirken. In dieser Phase werden Finanzinstitute in eine hybride Interaktion mit ihren Kund:innen treten. Vorangetrieben wird der Wandel durch eine immer leistungsfähigere IT sowie eine bessere Integration mobiler Endgeräte, dem Cloud Computing und elektronischer Marktplätze. Mit dem Paradigmenwechsel wird sich auch eine hybride Form der Kundeninteraktion entwickeln: In Zukunft werden Kund:innen zu jeder Zeit und von jedem Ort, sowohl on- als auch offline mit ihren Finanzdienstleister:innen interagieren.[11]

Ich fasse zusammen:

In Phase 1 digitalisiert das Finanzunternehmen interne Prozesse und in Phase 2 externe Produkte und Prozesse, um Kund:innen über digitale Kanäle zu erreichen. In Phase 3 werden Kund:innen direkt mit eingebunden und können fortan aktiv in Prozesse und Daten eingreifen. Phase 4 bricht die digitale Architektur des Finanzunternehmens in modulare Kernbanksysteme auf und öffnet einzelne Bereiche (oder komplette Kernsysteme) für externe Dienstleister, bzw. erlaubt es dem Finanzunternehmen, die gesamte Infrastruktur auszulagern. In Phase 5 der Digitalen Transformation lagert das Finanzunternehmen nicht nur ganze Kernbanksysteme auf mobile Endgeräte und in die Cloud aus, sondern geht auch eine stark hybride Form der Interaktion mit den Kund:innen ein, bei dem diese von passiven Nutzer:innen zu aktiven Teilnehmer:innen werden.

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Literatur:

[1] Herrmann, S. und Heinke, U. (2018:194): Auswirkung der Digitalisierung auf die Kernbanksysteme deutscher Banken. In: Brühl, V. und Dorschel, J. (Hrsg.), Praxishandbuch Digital Banking, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018, ISBN 978–3–658–18889–4, S. 192–210.

[2] Hermann & Heinke (2018:194)

[3] Vgl. Hermann & Heinke (2018:194)

[4] Hermann & Heinke (2018:195)

[5] Vgl. Hermann & Heinke (2018:194)

[6] Hermann & Heinke (2018:195)

[7] Vgl. Hermann & Heinke (2018:195)

[8] Vgl. Strietzel, M., Streger, S. und Bremen, T. (2018:25): Digitale Transformation im Banking — ein Überblick. In: Brühl, V. und Dorschel, J. (Hrsg.), Praxishandbuch Digital Banking, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018, ISBN 978–3–658–18889–4, S. 13–29.

[9] Vgl. Alt, R. & Puschmann, T. (2016). Digitalisierung der Finanzindustrie. Berlin/Heidelberg: Springer. Zitiert in: Ornau, F. (2017:51f.) Die Digitale Transformation in der Finanzindustrie. In: Fernhochschule S. (eds) Digitalisierung in Wirtschaft und Wissenschaft. Weiterbildung und Forschung der SRH Fernhochschule — The Mobile University. Springer, Wiesbaden, S. 49–65

[10] Ornau (2017:63)

[11] Vgl. Ornau (2017:63)

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Kim Y. Mühl
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