Die Bank 4.0: Vier Generationen der Bank?

Kim Y. Mühl
5 min readJan 15, 2021

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Die Automatisierung und Technologisierung der Wirtschaft

Das 4.0-Modell unterscheidet zwischen vier Generationen eines technologisch bedingten Veränderungsprozesses. Dieser Begriff fällt häufig im gleichen Satz mit der Digitalen Transformation. Doch die Digitalität grundiert bisherige Abläufe und umfasst weit mehr als die technische Weiterentwicklung von analog zu digital: Sie steht für globale Strukturen, vertikale und horizontale Vernetzung, neue Arbeitsmodelle und Produktionsmöglichkeiten.

Der Ursprung des Konzepts ist die Industrie 4.0.

Nach der Erfindung der Dampfmaschine (1.0), des Fließbandes (2.0) und des Computers (3.0) hat nun mit intelligent vernetzten Fabriken die vierte industrielle Revolution begonnen — die Industrie 4.0. In modernen Produktionsanlagen verzahnen sich industrielle Produktionsprozesse und -systeme mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und Menschen(!!!). Bauteile kommunizieren eigenständig mit der Fabrik, veranlassen bei Bedarf Reparaturen oder bestellen selbst Material nach. Diese Automatisierung komplexer Prozesse ermöglicht es, Produkte ohne nennenswerten Mehraufwand individuell nach Kundenwunsch herzustellen.

„Die sogenannte vierte industrielle Revolution zeichnet sich durch Individualisierung bzw. Hybridisierung der Produkte und die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in die Geschäftsprozesse aus.“ — Prof. Dr. Oliver Bendel, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

Mit der Industrie 4.0 wird damit erstmals die Herstellung qualitativ hochwertiger Einzelstücke und Unikate zum Preis von Massenware möglich — und das über die gesamte Produkt-Lebensphase, also von der Idee zur Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis zur Wiederverwertung/Recycling. Massenkonfektionierte Kleidung oder Schuhe mit eigenem, per App/Software erstelltem Design, individuell gestaltete Möbel oder passgenaue Bauteile aus dem 3D-Drucker sind nur ein Bruchteil der neuen Möglichkeiten.

Als Vorreiter dieser Entwicklung gelten beispielsweise die Automobil- und Modeindustrien, deren Herstellungsverfahren und Kundenbeziehungen schon heute häufig C2B sind: Die Konfiguration des Neuwagens, von der Lackierung bis zur Innenausstattung, oder das Online-Customizing von Kleidungsstücken wie den Adidas Schuhen #MIADIDAS (www.adidas.de/personalisieren) bieten rein rechnerisch Millionen verschiedener Möglichkeiten, die niemals alle vom Unternehmen selbst erfunden oder in einem physischen Store angeboten werden könnten.

Die Entwicklung hin zur Bank 4.0

Das Industrie 4.0-Modell folgt der Annahme, dass unsere Industrie eine Reihe technologischer Entwicklungen durchgeht, die sich so stark unterscheiden, dass man von technologischen Generationen sprechen kann. Dieser Ansatz wird gerne auf andere Bereich übertragen, etwa auf den Kundenservice oder die Bank.

Allerdings lässt sich dieses Modell hier nur bedingt übertragen. In der Wirtschaft ist deshalb häufig die Rede von der Bank 4.0, eine Terminologie, die eine Bank 1.0, 2.0 und 3.0 voraussetzt. In der Literatur besteht derzeit keine eindeutige, allgemein akzeptierte Unterscheidung zwischen den Generationen. Vielmehr handelt es sich um eine Bezugnahme zur Industrie 4.0. Nichtsdestotrotz möchte ich im Folgenden einen Generationenvergleich wagen.

Demnach schlägt die Stunde 0 der Bank im Mesopotamien des zweiten Jahrtausends vor Christus. Das moderne Bankwesen, dessen Ursprung im Europa des 13. und 14. Jahrhundert liegt, wäre somit die ‚Bank 0.5‘ — denn von Technologie kann hier noch nicht die Rede sein.

Die erste große technologische Neuerung im Bankwesen kam mit der Einführung des Computers, genauer gesagt des Mainframe. Kundendaten, Prozesse, Börsencharts etc. konnten fortan dank des Computers maschinell erfasst und verarbeitet werden. Die Bank 1.0 war geboren.

Mit der Einführung von Bankautomaten um 1980 begann die zweite Generation des digitalen Bankwesens: Die Bank 2.0 beschreibt die Bank im Computerzeitalter bzw. die Ära des Self-Serviced Banking. Kund:innen mussten nicht mehr in der Filiale am Schalter anstehen, sondern konnten Geldabhebungen und -einzahlungen sowie das Ausdrucken von Kontoauszügen direkt am Automaten erledigen.

Mit der Verbreitung des World Wide Web in den Neunzigerjahren begann die Bank 3.0 — die Bank im Internetzeitalter. 1995 erschienen die ersten Internetbanken und Online-Broker bzw. boten die ersten Banken ihre Produkte und Dienstleistungen über das WWW an. Banken waren fortan nicht mehr ausschließlich ortsgebunden; Banking und Payment findet an der Supermarktkasse, am Notebook, Tablet und auf dem Smartphone statt.

Worin besteht also der Unterschied zur Bank 4.0?

Die Bank 4.0 — die ‚Custom-Bank‘ — integriert Kund:innen aktiv in Prozesse. So können diese nicht nur selbst die PIN ihrer Kreditkarte online ändern oder ihr Dispolimit bestimmen, sondern künftig auch über jeden beliebigen Zugang den kumulierten Kontostand bzw. das Anlagevermögen einsehen, welches sie auf diversen Konten und Depots bei verschiedenen Banken haben. Darüber hinaus können sie sich modularisierte Finanzprodukte und -dienstleistungen selbst nach Wunsch zusammenstellen oder sich untereinander Kapital leihen. Das hat weitreichende Konsequenzen:

Das klassische Bankgeschäft, wie wir es bisher kannten, wird es mittelfristig nicht mehr geben. Disruptive Big- und FinTechs prägen die Kundenansprüche und -bedürfnisse sowie das Recherche- und Konsumverhalten maßgeblich. Ständige Erreichbarkeit und kanalübergreifende Banking- und Payment-Lösungen werden nicht nur vorausgesetzt — das Smartphone wird zunehmend zur Hausbank! Gleichzeitig erreicht der Markt eine nie gekannte Komplexität.

Es gilt jetzt, die Rolle der Bank im digitalen Zeitalter neu zu definieren. Den “Wettbewerb” gewinnt, wer über die schnellste und leistungsfähigste IT-Infrastruktur, die smartesten Algorithmen und Technologien, die richtigen Informationen, und vor allem die beste Strategie und Kompetenz zur Kundenakquise und -begleitung verfügt.

Ohne moderne Kernbanksysteme und effektive Middleware werden Banken deshalb künftig nicht in der Lage sein, den richtigen Umgang mit IT- /Cybersicherheit und Regularien zu meistern und dabei den weiter steigenden Kundenansprüchen gerecht zu werden. Systeme, Prozesse und Geschäftsmodelle können allerdings nicht einfach auf gut Glück “digitalisiert” werden; das würde nur zu weiteren Insellösungen und noch sträker überlasteten Kernbanksystemen führen. Sie müssen vielmehr grundlegend neu gedacht werden. Dies setzt ein hierarchieübergreifendes Umdenken voraus: Anstatt Silodenkweisen, Konkurrenzdenken und der Angst vor Disruption nachzugeben, setzen Digital Leader deshalb auf Digitalität und Digital Prudence bei der Entscheidungsfindung.

Technologischer Fortschritt ist eine Chance, die Welt zum Besseren zu wandeln.

Um ihre Systemrelevanz auch im digitalen Zeitalter zu rechtfertigen, agieren erfolgreiche Banken kompromisslos kundenzentriert und begreifen sich sowohl als Finanzinstitut als auch als Technologieunternehmen und Ökosystem: In einem offenen und stark vernetzten Ökosystem können aufgeschlossene Finanzunternehmen mit entsprechendem Digitalisierungsgrad am Wachstum der anderen teilhaben und von den Produkten und Dienstleistungen Dritter profitieren. Je nach Positionierung bündeln sie eigene wie auch externe Produkte als Omnikanal-Kundenplattform, oder geben als Produkt- und Infrastrukturspezialist kundenzentrierte Angebote und Expertise weiter.

Die Bank der Zukunft ist hybrid, personalisiert und modular

Die Bank 4.0 versteht sich als eine hybride Custom-Bank deren wichtigste Aufgabe darin besteht, Kund:innen exzellenten Service und höchstmögliche Sicherheit über die gesamte Customer Journey zu garantieren. Um das Gewinnpotenzial zu steigern und Kosten zu senken schöpft die Bank 4.0 das Potenzial digitaler Schlüsseltechnologien — wie etwa Smart Data Analysis-, Blockchain-, Cloud Computing-, oder Künstliche Intelligenz-Anwendungen — voll aus und setzt auf Ende-zu-Ende-Anwendungen, Dezentralisierung, Open Banking, digitales Onboarding und KYC, Personalisierung und Modularisierung, Un- und Rebundeling, Peer-to-Peer-Angebote, sichere Authentifikationsverfahren, Lean Banking und schlanke Wertschöpfungsketten.

Die Bank 4.0 ist also hoch automatisiert… Welche Rolle spielt da noch der Mensch? Eine große Rolle! Es ist ein großer Fehler, anzunehmen die Bank der Zukunft ist voll digital! Technologie ermöglicht die Bank 4.0. Doch es sind die Menschen, die das System “Bank” tragen, nutzen und aufrecht erhalten. Daher ist es umso wichtiger, die Digitale Transformation möglichst sinnvoll zu gestalten. Und zwar für alle Andwender:innen: Also sowohl für die Kund:innen als auch für die Mitarbeiter:innen.

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Mehr zur Bank der Zukunft erfahren Sie in: Bank 4.0: Wie Digital Leader Gewinne steigern, Kosten senken und neue Ertragsquellen erschließen

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